Mittwoch, 9. Januar 2008

Die Lüneburger Gruppe in der älteren Bronzezeit (etwa 1500-1200 v. Chr.)

Flügelhauben und Totenhäuser

Bronzezeitbuch

Rohfassung eines Textes für das Buch "Deutschland in der Bronzezeit" (1996) von Ernst Probst in alter deutscher Rechtschreibung

In der Lüneburger Heide existierte während der älteren Bronzezeit von etwa 1500 bis 1200 v. Chr. die nach dieser Region bezeichnete Kulturstufe namens Lüneburger Gruppe. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckte sich von der Lüneburger Heide über die Weser hinweg bis zur Wildeshausener Geest. Es umfaßte die heutigen Kreise Celle, Soltau-Fallingbostel, Uelzen, Lüneburg, Harburg und teilweise auch Lüchow-Dannenberg.
Die Hinterlassenschaften der Lüneburger Gruppe ähneln jenen der süddeutschen Hügelgräber-Kultur. Deshalb wird sie von manchen Autoren als eine Lokalgruppe der Hügelgräber-Kultur betrachtet. Die zentrale Lüneburger Gruppe bestand auch in der mittleren Bronzezeit von etwa 1200 bis 1100 v. Chr. weiter.
Von der »Lüneburger Bronzezeit« sprach 1939 erstmals der damals in München tätige Prähistoriker Friedrich Holste (1908–1942). Den heute gebräuchlichen Begriff »Lüneburger Gruppe« prägte 1971 der zu jener Zeit am Museum Lüneburg arbeitende Prähistoriker Friedrich Laux. Er grenzte 1989 durch den Vergleich unterschiedlicher Tracht-, Bewaffnungs- und Bestattungssitten mehrere Lokalgruppen der älteren und mittleren Bronzezeit in Niedersachsen voneinander ab. Der 1949 vom damals in Bonn wirkenden Prähistoriker Kurt Tackenberg (1899–1992) vorgeschlagene Ausdruck Ilmenau-Kultur hat sich nicht durchgesetzt.
Die Angehörigen der Lüneburger Gruppe pflegten mit Bewohnern anderer Gegenden rege Kontakte. Dabei kam es nicht nur zu Tauschgeschäften, sondern manchmal auch zu Hochzeiten. Dies schließt man aus fremdartigen Arm- und Beinringen mit deutlichen Tragespuren, die weit entfernt vom Herstellungsgebiet in Frauengräbern geborgen wurden. So ist durch Schmuckfunde in Oldendorf bei Amelinghausen (Kreis Lüneburg) die Einheirat einer Frau aus Südthüringen in die Lüneburger Heide belegt. Andererseits kennt man aus Heimatregionen benachbarter Gruppen auch Frauengräber mit typischen Flügelhauben oder Schmuckstücken der Lüneburger Gruppe, die ebenfalls durch Einheirat dorthin gelangten.
Bei den Kopfbedeckungen waren Flügelhauben aus Wolle oder Leder nur Frauen der Oberschicht vorbehalten. Funde aus Frauengräbern bei Bleckmar (Kreis Celle) zeigten, daß in jeder Generation lediglich einer Frau das Recht zustand, eine Lüneburger Flügelhaube zu tragen. Solche Kopfbedeckungen bestanden aus einem fezartigen Mittelstück, auf dessen beide Seiten schmale längliche Flügel genäht wurden. Die Flügel endeten in Höhe des Kinns der Frau und waren reich mit bronzenen Blechröhrchen, kegelförmigen Hütchen und Spiralröllchen besetzt.
Die teilweise sehr zerbrechlichen Schmuckgehänge wurden auch auf Stoff- oder Lederbänder genäht. Manchmal reichten mit kegelförmigen Hütchen verzierte Bänder bis über den Rücken der Frau und verhinderten, daß die Flügel beim Neigen des Kopfes nach vorne klappten. Nach der Anordnung von Spiralkopfnadeln und kegelförmigen Hütchen am Kopf von manchen Frauen zu schließen, könnten mitunter an Kappen auch Tücher oder Schleier festgesteckt worden sein.
Vereinzelt blieben Stoffreste der Kleidung von weniger als Fingernagelgröße an bronzenen Gegenständen in Gräbern erhalten. Die kleinen Fetzen sind durch austretende Bronzesalze konserviert worden. Dabei handelt es sich um Gewebe aus Schafwolle in verschiedener Stärke und Ausführung. Sie belegen die Haltung von Schafen als Haustiere.
Funde aus Bleckmar und Wardböhmen (beide Kreis Celle) ergaben, daß die Lüneburger Frauen steife aus Leder oder Filz hergestellte, glockenförmige Umhänge von ponchoartigem Zuschnitt trugen. Sie wurden reich mit bronzenem Zierrat geschmückt. Das Cape aus Wardböhmen war auf der Vorder- und Rückseite mit kegelförmigen bronzenen Hütchen benäht.
Da zu Beginn der älteren Bronzezeit Beinringe noch nicht in Mode waren, könnten damals lange bis zu den Knöcheln herabreichende Faltenröcke üblich gewesen sein, wie sie aus Jütland (Dänemark) bekannt sind. Dagegen gehörten später Beinringe oder ganze Sätze von Beinschmuck zur Ausstattung der Frauen. Weil dieser Schmuck vermutlich
sichtbar sein sollte, dürften sich nun wesentlich kürzere oder sogar knielange Röcke durchgesetzt haben.
Andererseits gab es auch nach oben hin verlängerte Röcke, die durch Träger über den Schultern gehalten wurden. Von einem solchen Trägerrock könnten die beiden Knöpfe mit Öse auf der Rückseite stammen, die bei einer Bestattung in Wardböhmen in Höhe der Schultern lagen.
Die bronzenen Nadeln sollten die Garderobe der Frauen nicht nur zusammenhalten, sondern auch schmücken. Unter den zur weiblichen Tracht gehörenden Nadeln gab es verschiedene Formen. Bei den Radnadeln endet der Kopf in einer großen, durchbrochenen, radförmigen Scheibe, die bei den Scheibennadeln flächenhaft in Punz- oder Treibtechnik verziert ist. Die Radnadeln waren vielleicht den Müttern oder generell den verheirateten Frauen vorbehalten, weil sie in Gräbern von Mädchen fehlen.
Im Verbreitungsgebiet der Lüneburger Gruppe wurden in einer späten Phase der älteren Bronzezeit von auch sonst reich ausgestatteten Frauen große, flache »Gürtelscheiben« (Hängescheiben) getragen. Sie sind in der Regel mit umlaufenden Spiralen oder konzentrischen Kreismustern ornamentiert. Ein üppig gemusterter und gerippter Halskragen, eine reichverzierte Scheibenkopfnadel und eine große, flache Hängescheibe bildeten offenbar eine zusammengehörige Schmuckgarnitur. Das übereinstimmende Dekor und die Verwendung der gleichen Punzen zeigen, daß die Schmuckkombination auf einmal bestellt, nacheinander angefertigt und zusammen ausgeliefert wurde.
Von der Kleidung der Männer zeugen lediglich bronzene Nadeln mit unterschiedlich gestaltetem Kopf, die dazu dienten, das Übergewand (den Umhang beziehungsweise Mantel) zusammenzuhalten. Die Nadeln aus Männergräbern wirken eher zweckbetont als jene aus Frauengräbern, deren Schmuckfunktion stärker zur Geltung kam. Es gab Scheibennadeln mit geripptem Schaft, Nadeln mit doppelkonischem Kopf und durchbohrtem Schaft sowie Nadeln mit Rollenkopf. Zuletzt lösten lange Gewandfibeln die Nadeln ab. Da sich auch die Männer mit jeweils einem bronzenen Armring schmückten, dürften sie ebenso wie die Frauen meistens eine kurzärmelige Oberbekleidung getragen haben.
Über die Siedlungen der Lüneburger Gruppe weiß man bisher wenig. Offenbar lagen die Gehöfte und Dörfer in Talauen an Gewässern, wo ihre Reste oft durch Hangrutschungen verschüttet wurden. Von friedlich verlassenen Siedlungen kennt man meistens nur Werkzeuge aus Feuerstein und Reste von grober Keramik. Die wertvollen Bronzeerzeugnisse wurden mitgenommen.
Die Ritzspuren unter zwei Grabhügeln auf dem Schwarzen Berg bei Wittenwater4 (Kreis Uelzen) stammen von hölzernen Hakenpflügen, die vermutlich von Rindern gezogen wurden. Sie verlaufen exakt innerhalb der ursprünglichen Ausdehnung der Grabhügel. Offenbar hat man den Standort der Grabhügel gepflügt. Ähnliche Pflüge dürften auch beim Ackerbau eingesetzt worden sein. Auf Anbau von Getreide deuten Mahlsteinfunde in Grabhügeln hin.
Außerdem lieferten die teilweise für den Bau von Grabhügeln verwendeten Heideplaggen Anhaltspunkte über die damalige Landschaft und die Haustiere. Heide entsteht nämlich durch Verbiß von Pflanzen durch Großvieh (Rinder), und kurzgehalten wird sie durch Schafe. Bienenhonig diente vermutlich als einziges bekanntes Süßungsmittel und als Grundlage für einige berauschende Getränke. Und Bienenwachs wurde für den Bronzeguß in verlorener Form gebraucht. Das gilt für alle norddeutschen Gruppen der Bronzezeit.
Zahlreiche Pfeilspitzen aus Feuerstein in Gräbern verraten, daß die damaligen Bauern mit Pfeil und Bogen auf die Jagd gingen. Die Feuerstein-Pfeilspitzen sind ausschließlich herzförmig. Da die Pfeilspitzen häufig gleich ausgerichtet und dicht beieinander lagen, haben sich die Pfeile vermutlich in Köchern aus organischem Material befunden, die jedoch ebenso wie die hölzernen Pfeilschäfte und Bögen vermodert sind.
Die Töpfer der Lüneburger Gruppe modellierten aus grob gemagertem Ton vor allem Becher, Näpfe, Schalen, Schüsseln, Kümpfe, Terrinen und Löffel. Nur selten wurden vor dem Brennvorgang im Töpferofen die Gefäße mit Fingertupfenrändern, plastischen Leisten und Ritzlinien verziert. Ein Tonlöffel mit massivem Stil lag in einem Hügelgrab von Südbostel (Kreis Soltau-Fallingbostel). Keramikreste wurden bisher überwiegend in Gräbern geborgen. Die noch gröbere Siedlungskeramik ist meistens nur bruchstückhaft erhalten und auch schwer datierbar.
Gußformen aus Metall beweisen, daß die Lüneburger Leute selbst dazu fähig waren, aus Kupfer und Zinn bronzene Erzeugnisse herzustellen. Aus Altenmedingen-Haaßel (Kreis Uelzen) sind zwei Formen und aus Lüneburg eine Form für Absatzbeile bekannt.
Nach den Erkenntnissen des Hamburger Prähistorikers Friedrich Laux gab es bei der älterbronzezeitlichen Lüneburger Gruppe zwei verschiedene Waffenausstattungen. Die eine davon setzte sich aus einem bronzenen Absatzbeil vom Osthannover-Typ und einem bronzenem Dolch zusammen, die andere umfaßte einen Bogen mit einem Köcher voller Pfeile und einen bronzenen Dolch. Dagegen fehlte die Ausrüstung mit bronzenem Absatzbeil sowie Pfeil und Bogen völlig, weil vielleicht beide als Fernwaffen dienten.
Von den bronzenen Beilen dienten schwere Formen vermutlich als Werkzeuge zur Holzbearbeitung, leichte dagegen als Hieb- beziehungsweise Wurfwaffen. Die Absatzbeile gelten als heimische Erzeugnisse, die wenigen Randleistenbeile dagegen als Importe aus hessischem Gebiet. Die in Männergräbern der Lüneburger Heide geborgenen Absatzbeile sind leichter als die sonst gebräuchlichen norddeutschen Exemplare. Vielleicht handelt es sich deswegen bei ersteren um Wurfbeile, bei letzteren um Arbeitsgeräte.
Bronzene Schwerter haben nicht zur normalen Ausrüstung in Männergräbern der älterbronzezeitlichen Lüneburger Gruppe gehört. Die wenigen Funde stammen vermutlich meistens aus nicht erkannten Depots. Es gab aber auch Ausnahmen, wie anhand eines Grabes von Bonsdorf bei Hermannsburg (Kreis Celle) nachgewiesen werden konnte. Der darin bestattete Mann war mit einem bronzenen Absatzbeil vom Osthannover-Typ, einem Dolch und einem etwa 70 Zentimeter langen rapierartigen Langschwert ausgerüstet worden. Die Schwerter der älteren Bronzezeit dienten allesamt als Stichwaffen.
Ein 75,5 Zentimeter langes Griffzungenschwert von Toppenstedt (Kreis Harburg) verrät, wie damals Nietlöcher im Griff angebracht wurden. Hierfür hat man auf der Ober- und Unterseite an zwei Stellen mehrfach eine Punze eingeschlagen. Als sich dabei Schwierigkeiten ergaben, hörte man auf. Auch die Ränder der acht vollendeten Löcher zeigen, daß sie zunächst von beiden Seiten vorgepunzt wurden. Danach hat man mit einem Dorn die vorgepunzte Scheibe herausgeschlagen, die Ränder des Loches gerundet und geglättet.
Die Schmuckbeigaben in Frauengräbern der Lüneburger Gruppe spiegeln deutliche Gesellschaftsunterschiede innerhalb der Bevölkerung wider. So trugen nur die Frauen der Oberschicht reichgeschmückte Flügelhauben und große, an einer Halskette prangende, spiralverzierte Hängescheiben. Letztere weisen vielfach eine auf den dazugehörigen Halskragen aus Bronzeblech und die Lüneburger Scheibennadel abgestimmte Verzierung auf. Vielleicht war dies die Schmucktracht von Häuptlingsfrauen oder zumindest von geachteten älteren Frauen.
Welche Mühe man sich machte, um eine Flügelhaube möglichst attraktiv zu gestalten, veranschaulicht das Grab einer Frau aus Wardböhmen (Kreis Celle). Als Besatz ihrer Haube dienten 36 jeweils 4,4 Zentimeter lange Bronzeröhrchen mit feiner Rippung, sechs Spiralröllchen von
bis zu 3,8 Zentimeter Länge und einem Durchmesser von vier bis sechs Millimetern und mindestens 35 kegelförmige bronzene Hütchen. Zudem hing auf dem Rücken der Frau eine Kette mit vielen Spiralröllchen von sechs bis sieben Millimeter Durchmesser, die am rechten und linken Ende des Hängeschmucks der Haube befestigt war.
Bei weniger bedeutenden Frauen bestand die Grundausstattung an Schmuck aus einem bronzenen Halskragen oder Halsring, Armschmuck (häufig Armspiralen und Stollenarmbänder mit bis zu elf Rippen) und einer Lüneburger Radnadel. In einer späteren Phase der älteren Bronzezeit kamen bronzene Beinringe sowie Oberarm- und Fingerbergen dazu. Die aus Bronzedraht gebogenen offenen oder geschlossenen Fingerringe waren offenbar sehr beliebt, weil manchmal an der Hand einer Frau gleich mehrere davon steckten.
Das in einem Tongefäß aufbewahrte Bronzedepot von Karwitz (Kreis Lüchow-Dannenberg) besteht aus 14 verzierten Bronzescheiben mit Mitteldorn und unfertiger Öse sowie mindestens 20 kegelförmigen Hütchen aus Bronze. Die Bronzescheiben haben einen Durchmesser von 5,8 bis 6,5 Zentimetern und einen 1,2 Zentimeter hohen Mitteldorn. Vier von ihnen sind auf der Schauseite mit einem Speichenmuster verziert, fünf mit einem Sterndekor und die übrigen haben ein freies Mittelfeld. Diese Bronzescheiben wurden wohl auf mantelartige Umhänge und die Hütchen auf ponchoähnliche Obergewänder aufgenäht.
Ähnlich zusammengesetzt ist das Depot von Molzen (Kreis Uelzen), zu dem zahlreiche verzierte Scheiben und zwei seltene Scheibenanhänger gehören. Wie diese Scheiben in der Schmucktracht plaziert wurden, zeigt ein Grabfund aus Wardböhmen (Kreis Celle): Die Frau trug auf der rechten Schulter offensichtlich ein breites Bandelier (ähnlich dem Gurt der Zugführer in der Eisenbahn), das unter dem linken Arm hindurchgeführt wurde. Auf das Bandelier wurden die Scheiben aufgenäht.
Die Entdeckung einer Bronzetasse der Mykenischen Kultur aus Griechenland in Bergen-Dohnsen (Kreis Celle) galt früher als Beweis für bis in die Ägäis reichende Handelsbeziehungen. Doch heute hält man es für möglich, daß das um 1500 v. Chr. hergestellte Gefäß erst im 20. Jahrhundert nach Bergen-Dohnsen gelangte. Die Bronzetasse ist 5,7 Zentimeter hoch, hat einen Durchmesser von 12,5 Zentimetern und einen Henkel. Unter dem Rand ist sie mit drei parallelen Kehlen und einem eingepunzten Blattmuster verziert.
Die Bestattungssitten der Lüneburger Gruppe ähnelten denjenigen der Hügelgräber-Kultur. Wie in Süddeutschland wurden in der Lüneburger Heide die Toten überwiegend unter Grabhügeln bestattet. Sie sind aus Sand oder Heideplaggen errichtet, heute noch bis zu l,50 Meter hoch und haben einen Durchmesser von bis zu 20 Metern. Im Lüneburgischen befinden sich die Grabhügel in Haufenlage. Manche von ihnen hat man am Fuß mit einem ein- oder mehrschichtigen Steinkranz oder mit Plaggenmauern umgeben. In seltenen Fällen wurden auch Pfostenkreise um den Hügel aufgestellt. Solche Einfriedungen kennt man aus der Südheide bei Celle.
Meistens wurde nur ein einziger Toter in einem Grabhügel beerdigt. Es gab aber auch gleichzeitige Doppelbestattungen von Mutter und Kind, von Mann und Frau oder von
zwei Männern, hin und wieder sogar Beisetzungen von drei oder vier Personen. In manchen Grabhügeln wurden im Laufe der Zeit mehrere Tote zur letzten Ruhe gebettet. So enthielt ein Grabhügel auf dem Hengstberg von Wardböhmen (Kreis Celle) fünf Bestattungen.
Man bettete den Leichnam in gestreckter Rückenlage häufig in einen Baumsarg von etwa 1,80 bis 2,50 Meter Länge und 80 Zentimeter Breite. Der Baumsarg bestand aus einem der Länge nach gespaltenen dicken Stammstück. Dessen beide Hälften wurden ausgehöhlt, in eine davon legte man den Toten, mit der anderen deckte man ihn zu. Von Baumsärgen zeugen Holzkohlereste und Holzteile sowie verschiedenartige Steinsetzungen, mit denen der Baumsarg rutschfest verkeilt wurde.
Im Ilmenautal und in der Nordheide hat man Baumsärge mit Steinpackungen von drei bis sechs Meter Länge und Breite sowie bis zu 1,50 Meter Höhe bedeckt. Wo es keine Steine gab, wurden Heideplaggen oder Grassoden dachziegelartig übereinandergelegt.
In seltenen Fällen hat man statt eines Baumsarges auch einen Bohlensarg gezimmert. Als Indizien hierfür gelten rechteckige Steinpflaster ohne Verkeilsteine, parallel verlaufende Reihen von Steinplatten und größere rechteckige Holzkohleflächen in manchen Grabhügeln.
Die Hinterbliebenen bestatteten die Frauen mitsamt ihrem wertvollen Bronzeschmuck und manchmal auch mit Tongefäßen. Den Männern legte man ihre komplette Waffenausrüstung mit ins Grab, damit sie auch im Jenseits für den Kampf gerüstet waren. In etlichen Frauen- und Männergräbern der Südheide lagen am Kopfende der Bestattungen brüchige Steine mit Feuerspuren, die als als angebrannte Herdsteine gedeutet werden. Im Ilmenau-Tal wurden mitunter Mahlsteine in die Steinpackung für den Baumsarg eingebaut.
Eine rätselhafte Bestattungssitte, die bereits in der frühen Bronzezeit begonnen hatte, wurde in der Lüneburger Heide und in einem schmalen Gebiet beiderseits der Unterelbe praktiziert. Dort errichtete man ausschließlich für einzelne weibliche Tote nach allen Seiten hin offene Totenhäuser, die zur Aufbahrung des Leichnams dienten. Sie bestanden aus sechs bis acht Pfosten an den Seiten und waren überdacht. Die Totenhäuser wurden teilweise während oder nach der Beisetzungszeremonie abgebrannt oder unversehrt vom Grabhügel bedeckt.
Totenhäuser mit Brandbestattungen aus der Übergangsphase zwischen der älteren Bronzezeit und der frühen mittleren Bronzezeit kennt man von Eitzen (Kreis Uelzen), Mechtersen (Kreis Lüneburg), Schutschur (Kreis Lüchow-Dannenberg), Gödenstorf, Sottorf (beide im Kreis Harburg) und Hamburg-Marmstorf.
Interessante Erkenntnisse über ein Totenhaus mit Brandbestattung ergaben sich bei der Untersuchung eines Grabhügels in Sottorf. In dem Hügel stießen die Ausgräber auf die verkohlten Balken eines 5,50 Meter langen, fünf Meter breiten und einst 2,30 Meter hohen Totenhauses. An dessen Nordwand hatte man ein mindestens drei Jahre altes Kind aufgebahrt.
Manche der verkohlten Balken waren rechteckig behauen und hatten einen Durchmesser von etwa 20 Zentimetern. Zum Festkeilen der 14 Ständer des Totenhauses in den Pfostenlöchern hat man etwa 1500 Steine verwendet. Das Totenhaus wurde bei der Bestattungsfeier verbrannt. Den Brandschutt hat man mit Erde und Steinen bedeckt, darüber den Hügel aufgeworfen und mit Steinen belegt.
Aus welchem Grund solche Totenhäuser erbaut wurden, ist unbekannt. Da unter den im Feuer des Scheiterhaufens zerschmolzenen Schmuckstücken weder Rad- noch Scheibennadeln lagen, könnte es sich sich um Bestattungen von unverheirateten Frauen handeln. Der Hamburger Archäologe Friedrich Laux spekuliert, daß dieser aufwendige Bestattungsbrauch ausschließlich Priesterinnen oder Seherinnen vorbehalten gewesen sein könnte.
Totenhäuser mit Körperbestattungen kamen in Bonstorf-Hetendorf (Kreis Celle) und auf dem bereits erwähnten Schwarzen Berg bei Wittenwater (Kreis Uelzen) zum Vorschein.
Das Totenhaus von Bonstorf-Hetendorf wurde im Südwestteil eines Grabhügels mit einem Durchmesser von 15 Metern entdeckt. Es hatte zehn Pfosten, war 6,50 Meter lang und 5,10 Meter breit. Zwei Steine gliederten das Hausinnere in zwei Teile. Dieses Totenhaus ist nicht abgebrannt, sondern vermodert. Das ebenfalls unverbrannte Totenhaus auf dem Schwarzen Berg bei Wittenwater lag zwischen zwei Grabhügeln. Es besaß einen quadratischen Grundriß mit Seitenlängen von etwa drei Metern.
Über die religiöse Gedankenwelt der Menschen im Verbreitungsgebiet der Lüneburger Gruppe weiß man wenig. Die meisten diesbezüglichen archäologischen Hinweise betreffen den Totenkult. Sicherlich glaubte man damals in der Lüneburger Heide – ebenso wie in anderen Teilen Europas – an ein Leben nach dem Tod. Sonst wären die Verstorbenen wohl kaum mit Speise und Trank in Tongefäßen ausgestattet, mit dem kompletten Schmuck versehen und mit Waffen ausgerüstet worden. Möglicherweise stand die häufige Ausrichtung der Toten von Westen nach Osten mit der auf- und untergehenden Sonne in einem Zusammenhang, was auf einen Sonnenkult hindeuten würde.
Aus der Lüneburger Bronzezeit beweist eine ganze Reihe von Befunden, daß lebende Menschen einem Verstorbenen ins Grab folgen mußten. Als herausragendes Beispiel für diese sogenannte Totenfolge gilt das älterbronzezeitliche Scheiterhaufengrab im Grabhügel von Melbeck (Kreis Lüneburg). Dort ergibt sich aus der Verteilung der geborgenen Beigaben, daß hier drei Männer und drei Frauen zusammen beigesetzt wurden.
Auf dem Hengstberg in Wardböhmen (Kreis Celle) wurde ein Mann zu beiden Seiten von je einer Frau flankiert. Zwei ebenfalls gleichzeitig mitbestattete Männer werden als Diener oder Leibwächter interpretiert. In anderen Fällen handelte es sich bei der Totenfolge nur um eine zusätzliche Person.
Auch ein Teil der in Gewässern deponierten oder im Boden vergrabenen Depots dürfte eine Rolle im Kult gespielt haben. Sie waren vielleicht als Weihe- oder Opfergaben für Götter gedacht. Andererseits gibt es Funde, die den Eindruck erwecken, als seien sie in Siedlungen oder Häusern zurückgelassen oder vergessen worden.
Schwierig zu bestimmen ist das genaue Alter der sogenannten Rillen- und Rinnensteine aus Norddeutschland. Sie wurden aus sogenannten Findlingen geschaffen, die während der Saale-Eiszeit vor etwa 200 000 Jahren von Skandinavien durch die Ausbreitung von Gletschern nach Norddeutschland gelangten und dort nach deren Abschmelzen liegen blieben. Auf solchen Findlingen sind manchmal von Menschenhand unterschiedlich breite und tiefe Rillen oder Rinnen angebracht worden.
Nach der Definition des Hamburger Prähistorikers Willi Wegewitz (1898–1996) von 1983 läuft bei einem Rillenstein die künstlich eingearbeitete Rille ganz um den Felsbrocken herum. Bei einem Rinnenstein dagegen ist die Rinne quer oder längs zur Achse des Steines nur auf einer Seite herausgearbeitet. Die Rillen- und Rinnensteine sind selten höher als ein Meter. Erstere dürften einst aufrecht gestanden haben.
Rillen- und Rinnensteine wurden vor allem in der Umgebung jungsteinzeitlicher, bronzezeitlicher und eisenzeitlicher Gräberfelder angetroffen. Demnach könnten einige von ihnen durchaus in vorchristlicher Zeit bearbeitet worden sein, worauf auch Funde von Rinnensteinen direkt aus jungsteinzeitlichen Grabhügeln hindeuten – zum Beispiel in Westerhausen (Kreis Quedlinburg) in Sachsen-Anhalt.
Aus dem Verbreitungsgebiet der Lüneburger Gruppe stammt beispielsweise ein kleiner, 1983 in Handeloh (Kreis Harburg) entdeckter Rillenstein. Er wird heute auf dem Gelände des Hamburger Museums für Archäologie in Hamburg-Harburg aufbewahrt.
Um die Erforschung dieser rätselhaften Steine in Norddeutschland haben sich der Prähistoriker Wolfgang Dietrich Asmus (1908–1993) aus Hannover, der langjährige Denkmalpfleger des Kreises Verden, Detlef Schünemann aus Verden/Aller, und der schon erwähnte Prähistoriker Willi Wegewitz verdient gemacht.
Detlef Schünemann hat 1992 eine Zusammenstellung von 220 Rillen- und Rinnensteinen veröffentlicht. Anhand von mehr als 120 Objekten, deren Rillen und Rinnen exakt vermessen und untersucht wurden, konnte Schünemann ermitteln, daß etwa 40 dieser Steine in vor- oder frühgeschichtlicher Zeit bearbeitet worden waren. Dagegen weist die Mehrzahl jener Steine Rinnen auf, die vor nicht allzulanger Zeit von Steinschlägern bei Spaltversuchen an den Steinen erzeugt wurden.
Die Rillensteine haben teilweise ein phallisches Aussehen. Sie werden deswegen als Symbole eines Phalluskults gedeutet, der zu verschiedenen Zeiten in Alteuropa praktiziert wurde. Daneben gibt es aber auch menschengestaltige Rillensteine – zum Beispiel in Tarmstedt (Kreis Rotenburg) und in Bliedersdorf (Kreis Stade).
Ein Teil der mit Rinnen oder Rillen versehenen Steine könnte bei Flüssigkeitsopfern eine Rolle gespielt haben, bei denen vielleicht Blut oder Milch auf den Stein geschüttet wurde. Der Prähistoriker Hans-Günter Buchholz aus Gießen wies 1981 darauf hin, daß solche Flüssigkeitsspenden (Libationen genannt) in Alteuropa und Vorderasien weit verbreitet waren. Davon zeugen Felsen und Altäre im östlichen Mittelmeergebiet mit eingetieften Schälchen, die oftmals durch Rinnen miteinander verbunden sind.
Im Verbreitungsgebiet der Lüneburger Gruppe befindet sich auch der zwei Meter lange Opferstein (Rinnenstein) von Melzingen (Kreis Uelzen) mit einer von Menschenhand eingemeißelten »Blutrille«. Er wurde durch den Prähistoriker Wolf-Dietrich Asmus untersucht und soll aus der Jungsteinzeit oder Bronzezeit stammen. Der Opferstein liegt in Nähe eines Hügelgräberfeldes im Zentrum einer Mulde von 30 Metern Durchmesser auf einem Fundament von Rollsteinen. Die dort bei chemischen Untersuchungen im Boden festgestellten hohen Phosphatwerte könnten von organischen Opfergaben stammen.
Rillen- und Rinnensteine kennt man außer in Norddeutschland auch in Dänemark, Schweden und auf Gotland. Der geheimnisvolle Kult, in dessen Mittelpunkt sie standen, war also weit verbreitet. Solche Ritualsteine haben offenbar in späterer Zeit Ärgernis erregt und sind deswegen umgestürzt, vergraben, zerschlagen oder zum Haus- und Straßenbau verwendet worden.

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