Steinkränze als Sonnensymbole?
Rohfassung eines Textes für das Buch "Deutschland in der Bronzezeit" (1996) von Ernst Probst in alter deutscher Rechtschreibung
Im östlichen Sachsen (Oberlausitz, Elbtal) und in Ostbrandenburg existierte während der älteren Bronzezeit von etwa 1500 bis 1200 v. Chr. die Vorlausitzer Kultur. Ihre Keramik- und Bronzeerzeugnisse unterscheiden sich größtenteils von denen der gleichzeitig vorkommenden Hügelgräber-Kultur. Die Vorlausitzer Kultur war hauptsächlich in Polen (Schlesien, Großpolen, Kujawien) verbreitet. Sie fiel in die Periode II der Bronzezeit.
Die auffällig spärlichen Funde der Vorlausitzer Kultur in Sachsen deuten auf einen spürbaren Bevölkerungsrückgang gegenüber der vorhergehenden Zeit in diesem Gebiet hin. Der Dresdener Archäologe Klaus Simon führt die Fundarmut und den Populationsschwund in Sachsen auf klimatische Ursachen zurück – eine Erscheinung, die sich in anderen Perioden wiederholte.
Der Begriff »Vorlausitzer Kultur« wurde 1924 von dem polnischen Prähistoriker Józef Kostrzewski (1885–1969) aus Posen eingeführt und basiert darauf, daß diese Ära der Lausitzer Kultur vorausging. Andere Prähistoriker verwendeten statt dessen die Bezeichnungen Vorlausitzer Gruppe, Schlesische Hügelgräber-Kultur, Großpolnische Kultur mit Textilkeramik, Podliszki-Kultur oder Schlesisch-großpolnische Hügelgräber-Kultur.
Bei den Vorlausitzern handelt es sich nicht um Abkömmlinge der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur, sondern um Einwanderer. In Polen errichteten sie ihre Behausungen überwiegend an solchen Plätzen, an denen sich zuvor keine Angehörigen der Aunjetitzer Kultur angesiedelt hatten. Tönerne Spinnwirtel und Gewebeeindrücke auf Tongefäßen deuten auf gewebte Kleidung aus Schafwolle hin.
Auch die Männer der Vorlausitzer Kultur haben sich erstmals den Bart und die Kopfhaare mit bronzenen Rasiermessern geschnitten, die damals in Mitteleuropa Mode wurden. In der Übergangszeit zwischen den Perioden II und III waren Exemplare mit Pferdekopfgriff die wichtigsten Bronzeformen. Ein einschneidiges bronzenes Rasiermesser aus der Periode II wurde in Borna-Eula (Kreis Leipziger Land) in Sachsen geborgen.
Wie die Wohnstätten der Vorlausitzer aussahen, verrät der Grundriß eines Gebäudes vom polnischen Fundort Ksiazek. Er war rechteckig, 30 Meter lang und sieben Meter breit. Erhalten blieben Fundamentgräben, Pfostenlöcher, eine Herdstelle sowie einige vermutlich zum Haus gehörende Gruben. Die Konstruktion des Bauwerks bestand aus drei in den Erdboden eingetieften Pfostenreihen, von denen die mittlere das Dach stützte und die beiden äußeren Reihen das Gerüst der aus Querbalken bestehenden Wände bildeten. Nach den Fundamentgräben zu schließen, waren doppelte Außenwände errichtet worden.
Holzwände teilten das Innere des Hauses in vier ungleich große Räume ein. Ein fünfter Raum wird vom Ausgräber als Anbau gedeutet. In einem Raum gab es eine aus Steinen angelegte Herdstelle. Die Erbauer des Anwesens haben offenbar zu Beginn ihrer Arbeiten im Fundamentgraben zwei Bronzenadeln als Bauopfer dargebracht, um für die späteren Bewohner Glück und Segen zu erflehen.
Eine Siedlung jener Zeit befand sich auf dem rechten Elbufer von Dresden-Neustadt. Dort wurden bei Baggerarbeiten für den Neubau des Hotels »Bellevue« unter anderem einige Siedlungsspuren der Vorlausitzer Kultur entdeckt. Befestigungen konnten bisher im Verbreitungsgebiet dieser Kultur nicht nachgewiesen werden.
Wegen der weitgehend fehlenden Siedlungsreste nimmt man an, daß diese Menschen in der frühen und mittleren (klassischen) Phase zunächst nomadisch gelebt haben und sich vor allem von der Viehzucht ernährten. Erst in der klassischen Phase soll der Prozeß des Übergangs zur seßhaften Lebensweise begonnen und sich in der jüngeren Phase verstärkt haben. Auf Ackerbau deuten Mahlsteine zum Zerquetschen von Getreidekörnern hin.
Die in Siedlungen und Gräbern gefundene Keramik wurde frei mit der Hand geformt. Man hat die Oberfläche der Tongefäße geglättet, mit Textilabdrücken aufgerauht, mit Strohbündeln verstrichen oder mit den Fingern verschmiert. Es wurden bauchige Amphoren mit kegelförmigem Hals und zwei Henkeln, Krüge, kleine Henkelterrinen, weite Terrinen, eiförmige Töpfe, Kellen und Siebe modelliert. Als Ornamente dienten aufgelegte Leisten, Fingereindrücke und Buckel. In der jüngeren Phase wurden vasenförmige Gefäße manchmal mit senkrechten Riefen verziert.
Eine kleine Amphore kam auf dem Fiedlerplatz in Dresden zum Vorschein, eine Kanne und einen eiförmigen Topf fand man in Pausnitz-Walzig (Muldentalkreis) in Sachsen.
Analysen von Bronzefunden und zahlreiche für diese Kultur typische Metallgegenstände – vor allem Gewandnadeln – belegen, daß die Vorlausitzer den Bronzeguß beherrschten. Als weitere heimische Erzeugnisse gelten Armringe, Armbergen, »Diademe«, Dolche und Beile. Fertige Bronzeobjekte wurden manchmal mit komplizierten Ornamenten versehen.
Die Männer waren mit Randleistenbeilen, Absatzbeilen, Dolchen, Lanzen sowie mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Manche Streitäxte, Schwerter und Dolche wurden von Hügelgräber-Leuten aus dem Karpatengebiet importiert. Neben Pfeilspitzen aus Bronze fanden auch solche aus Feuerstein Verwendung. Letztere sind aus dem Gräberfeld von Wartin (Kreis Uckermark) in Brandenburg bekannt. Aus Stein bestanden außerdem Keulen und Beile mit gebohrten Schaftlöchern. Werkzeuge aus Knochen und Geweih waren eher selten.
Zu den in Gräbern geborgenen Schmuckstücken gehörten vor allem bronzene Gewandnadeln. Sie werden nach der Form ihres Kopfes als Hirtenstab-, Ösenkopf-, Spindelkopf-, Spundkopf- und Zargenkopfnadeln bezeichnet. Daneben gab es verzierte »Diademe« aus Bronzeband, Armbergen und bronzene Ringe.
Aus einem Grab stammen zwei rundstabige Hirtenstabnadeln, die beim Bau eines Hauses in Medingen (Kreis Meißen-Radebeul) entdeckt wurden. Sie kamen zusammen mit ei-nem eiförmigen Topf, einer Tonscherbe und zwei schweren bronzenen Ringen zum Vorschein. Die Ringe sind mit Strichgruppen und Sparren verziert.
Eine Ösenkopfnadel des schlesischen Typs wurde in Planitz-Deila (Kreis Meißen-Radebeul) in Sachsen gefunden. Ihr Schaft biegt nach der Öse fast rechtwinklig zum Kopf ab. Der Kopf dieser Nadel besteht aus einer großen, runden Scheibe, in die ein Sternmuster mit umgebenden konzentrischen und punktgesäumten Kreisen eingepunzt ist. Eine Ösenkopfnadel und ein Bronzering mit D-förmigem Querschnitt sind aus Eula (Kreis Leipziger Land) bekannt. Außerdem förderte man Ösenkopfnadeln in Frankfurt/Oder-Güldendorf, Marzahne (Kreis Potsdam-Mittelmark), Stradow (Kreis Oberspreewald-Lausitz), Langewahl-Streitberg (Kreis Oder-Spree) und Wilsickow (Kreis Uckermark) in Brandenburg zutage.
Von den zwei auf dem Fiedlerplatz in Dresden geborgenen Spindelkopfnadeln war eine 40,3 Zentimeter und die andere 33 Zentimeter lang. Bei jeder von ihnen ist der Kopf verziert. Auf weitere Spindelkopfnadeln stieß man in Burg (Kreis Spree-Neiße), Diensdorf (Kreis Oder-Spree), Schöna-Kolpien (Teltow-Fläming), Seelow, Werbig (beide Kreis Märkisch-Oderland) in Brandenburg sowie in Dresden-Tolkewitz und Wessel (Kreis Bautzen) in Sachsen.
Zargenkopfnadeln kamen in Bölkendorf (Kreis Uckermark) und in Werder (Kreis Potsdam-Mittelmark) in Brandenburg zum Vorschein.
Von polnischen Fundorten kennt man auch halbmondförmige bronzene Anhänger. Solche Schmuckstücke werden als Nadelschoner bezeichnet. Zwei Bronzeknöpfe lagen zusammen mit fünf Nadeln, einer Dolchklinge und einem verzierten Tongefäß in einem teilweise zerstörten Grab oder Depot von Trzesów in Polen.
Die Toten wurden in allen Phasen der Vorlausitzer Kultur meistens unverbrannt beigesetzt. Doch gab es daneben gelegentlich schon während der frühen Phase Brandbestattungen in südlichen Teilen Schlesiens und vermutlich in Nordmähren. Erst in der späten Phase setzte sich diese neue Sitte stärker durch.
Für die Körperbestattungen hob man häufig Grabgruben aus und legte die Verstorbenen hinein. Bei der Ausrichtung des Leichnams herrschte keine strenge Regel. Er wurde sowohl gestreckt auf dem Rücken liegend als auch auf der Seite ruhend mit zum Körper hin angezogenen Beinen beerdigt.
Über der Grabgrube hat man manchmal Steinpflaster, -packungen oder -abdeckungen errichtet. Solche Einbauten erreichten mitunter einen Durchmesser von mehreren Metern und eine Höhe von über einem Meter. Der Außenrand des Hügels wurde manchmal mit einem Steinkranz umgeben. Das zum Aufschütten des Grabhügels erforderliche Erdreich entnahm man aus der unmittelbaren Umgebung, wie Vertiefungen um einige Gräber von Moravicany in Polen zeigten. Die Grabhügel hatten einst einen Durchmesser von fünf bis 20 Metern und eine Höhe von bis zu vier Metern. An ihrer Errichtung dürften Dutzende von Menschen beteiligt gewesen sein.
In der Mitte des Grabhügels lag meistens nur eine einzige Körperbestattung. Man kennt aber auch Grabhügel mit mehrfachen Körper- und Brandbeisetzungen. Mehrere Tote sollen beispielsweise in einem Grab der klassischen Phase von Bautzen-Strehla8 in Sachsen gelegen haben. Im Gräberfeld von Kietrz in Polen sind in Brandgräbern zwischen Relikten eines Holzsarges verbrannte Knochen mehrerer Menschen geborgen worden.
Keramikreste, verstreute Holzkohle, Relikte von Feuerstellen und Asche stammen von Totenfeiern. Bei solchen Zeremonien wurden beim Zuschütten der Grabgrube und beim Auftürmen des Grabhügels Scherben von Tongefäßen auf das Erdreich geworfen. Außerdem brannte während des Aufschüttens des Hügels oder auf dem bereits errichteten Hügel ein Feuer. Offenbar fanden des weiteren alljährlich wiederkehrende rituelle Handlungen statt, bei denen mitgebrachte Gefäße, die Speisen enthielten, auf den Gräbern oder um sie herum abgestellt wurden. Auch dabei brannten vielleicht auf oder zwischen den Gräbern entfachte Feuer.
In Grabhügeln von Kietrz, Mikowice und Skoroszów in Polen kamen Spuren von Holzkonstruktionen zum Vorschein. Es handelt sich um regelmäßig angeordnete vier Pfostenlöcher, die von dem polnischen Prähistoriker Marek Gedl aus Krakau als Reste von Totenhäusern gedeutet werden. Solche an den Seiten offenen Bauwerke spielten vielleicht während der Zeremonien und kultischen Handlungen auf der Grabstätte eine Rolle.
Gräberfelder der Vorlausitzer Kultur kennt man vor allem aus Polen, aber auch aus Mitteldeutschland. Dazu gehören die Friedhöfe von Schönteichen-Biehla (Kreis Westlausitz-Dresdner Land), Elstertrebnitz-Eulau (Kreis Leipziger Land), Salzenforst (Kreis Bautzen) in Sachsen sowie von Biegen (Kreis Oder-Spree), Frankfurt/Oder, Glienicke, Wilmersdorf (letztere zwei Kreis Oder-Spree), Wartin (Kreis Uckermark) in Brandenburg. Die Zahl der Grabhügel im zerstörten Gräberfeld von Schönteichen-Biehla wird auf 30 bis 40 geschätzt.
Die Steinkränze inner- und außerhalb der Grabhügel werden von den polnischen Prähistorikern Witold Hensel aus Warschau und Boguslaw Gediga aus Breslau als Sonnensymbole interpretiert. Sie betrachten sie als Zeugnisse eines hochentwickelten Sonnenkults. Auch die Ziermotive auf den Köpfen mancher Nadeln – wie langgezogener Stern, Wirbelstern oder konzentrische Kreise – sollen angeblich die Verehrung der Sonne oder anderer Himmelskörper belegen.
Als Zeugnis des Kults wird außerdem der 15 Meter lange und drei Meter breite Pflasterrest im Gräberfeld von Kleszcewo (Polen) diskutiert. Darüber soll eine Schicht schwarzer Erde gelegen haben, die Objekte aus Bronze und Bernstein enthielt.
Die in Sümpfen oder in Flüssen versenkten sowie unter Felsblöcken oder Steinen versteckten Wertgegenstände aus Metall waren möglicherweise als Opfergaben für Gottheiten oder überirdische Mächte gedacht. Damit wollte man Gnade und Gunst erflehen. Zu diesen Opfergaben könnten eine Zargenkopfnadel aus einem Moor bei Niederlandin (Kreis Uckermark) in Brandenburg sowie je eine Nackenscheibenaxt aus dem Flußbett der Elbe von Meißen und von Riesa in Sachsen gehören. Das 22,5 Zentimeter lange Meißener Exemplar ist verziert.
Aus dem Flußbett der Oder in Polen hat man im Wasser versenkte Schwerter, Dolche und Nadeln geborgen. Unter einem großen Stein neben einer Quelle und einer Felswand von Sichów in Polen war sogar ein goldenes »Diadem« versteckt.
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